Der Traum vom verlorenen Paradies ist so alt wie die Geschichte der Menschheit. Schon aus der sumerischen Mythologie von Dilmun kennen wir den Satz: "wo die Tiere nicht unter sich kämpfen und der Mensch immun ist gegen Krankheit"… und immer noch träumen wir davon. Aber vielleicht gibt es Plätze auf dieser Erde, die diesem Traum nahe kommen…
Der Traum vom verlorenen Paradies ist so alt wie die Geschichte der Menschheit. Schon aus der sumerischen Mythologie von Dilmun kennen wir den Satz: "wo die Tiere nicht unter sich kämpfen und der Mensch immun ist gegen Krankheit"… und immer noch träumen wir davon. Aber vielleicht gibt es Plätze auf dieser Erde, die diesem Traum nahe kommen…
Geologen erklären, daß im Tertiär das gesamte heutige, mittlere, Amazonas Gebiet ein riesiges Binnenmeer war, abgegrenzt im Norden durch eine Archaische Insel (dem Guyana Massiv) und die südliche Archaische Insel (dem brasilianischen Festland Massiv). Im Laufe der Zeit gab es gigantische geologische Umwälzungen die das Binnenmeer drastisch veränderten. Oszillationen, Versenkungen, Abtrennungen und die Bildung von Flüssen fanden statt. Regengüsse in unmessbaren Ausmaßen (wie Sie heute noch im Amazonas, dem waldreichsten Gebiet der Erde, stattfinden…), eine Überschwemmung nach der anderen, und Windstürme veränderten die Landschaft. Bis aus diesem “Labor der Natur“ Mbarayó entstand. Im Laufe von Jahrmillionen ist dann, durch die aus den Anden herunterkommenden Süßwassermassen, Mbarayó immer weiter dem Atlantischen Ozean zu verschoben worden. Aber irgendwann schaffte es auch die unglaubliche Wassermenge – speziell während der Eisschmelze – nicht mehr, diese gewaltige “Insel“ vorwärts zu drücken. Der Strom brach links und rechts aus, um weiter und in das wenig tiefer gelegene Meer zu gelangen. Dies war die Geburtsstunde des Rio de Mar Dulce: Der Amazonas. Er floß zu dieser Zeit durch eine extrem grüne südwestliche Region der Insel, die heute von furos (Durchbrüchen), estreitos (Verengungen) und den Canais de Breves (den Kanälen von Breves, einem der wenigen Orte auf Marajó) gekennzeichnet ist. Marajó selbst wurde zu einem enormen, pittoresken, aquatischen Labyrinth, das sich immer wieder veränderte. Heute bildet es seinen eigenen dynamischen Kosmos. Maßgeblich Schuld an seiner Entstehung und der heutigen Inselform, ist der Rio Tocantíns, der letzte große rechte Amazonas Zufluß. Seine Wassermassen untergruben kontinuierlich im Laufe von Jahrtausenden das Mbarayó Erdreich Es bildeten sich immer neue canais, Teile sonderten sich ab und formten eigene kleine Inseln. Ebbe und Flut (mit Einwirkung bis zu 1.200 km tief in den Amazonas hinein) taten ihr übriges, dieses einmalige Wasserlabyrinth zu gestalten.
Durch solche Bewegungen entstand auch der Estreito de Breves – die einzige Passage für Ozeandampfer (die den Amazonas bis zu 3.000 km flußaufwärts beschiffen können). Diese südwestliche Region wird heute als die offizielle Grenze zwischen Insel und Festland angesehen. Hier mündet der Amazonas in den Rio Pará und dieser in den Tocantíns. Im Norden nennt man den Mündungsteil des Amazonas Stromes “Baia do Vieira Grande“ und dann “Canal“, aufgeteilt in Canal Perigoso und Canal do Sul (den gefährlichen und den südlichen).
Die fast unzähligen Kanäle, welche die Insel durchziehen, erinnern an die Namen der längst ausgestorbenen Indianerstämme, wie Anajás, Araraquara, Atatá, Atuá, Camará, Cajuúba, Camutím, Canaticú, Charapucú, Curuacá, Mapuá, Muaná, Paracuari, Pracuúba und Tamaquarí, um nur einige zu nennen. Die Ureinwohner erkannten schon diesen einmaligen Platz an der Mündung des gewaltigen Stromes (man muß sich zum Beispiel mal Mittelamerika vorstellen, durchzogen von Wasserstraßen…). Deshalb gaben sie ihr den Namen Mbarayó. Für den Menschen hat das Naturwunder aber auch seine Schattenseiten. In der etwa 5 Monate anhaltenden Regenzeit liegt der größte Teil Marajós unter Wasser (der höchste Punkt liegt nur 15 Meter über dem Meeresspiegel). Die Indianer bauten deshalb ihre Häuser auf Pfählen und diese Vorsorge spiegelt sich heute noch in den Bauten und Anlegeplätzen wieder. Ein Vorwärtskommen ist nur mit dem Boot möglich. In der Trockenperiode allerdings (etwa Mai bis November) trocknen die meisten Canais und Igarapés (Bäche) völlig aus und das Kanu wird gegen ein Pferd oder 4-Rad-Antrieb ausgetauscht.
Die Ureinwohner
Zu den bekanntesten Ureinwohnern der Flußinsel zählen die Aruã mit ihren zum Teil bis heute erhaltenen, elaborierten Keramikarbeiten. Sie bildeten zusammen mit den Anajás, den Guajarás, Jurunas, Mapuás, Mamaiaucás und den Sacarás eine große Familie, die der Aruak (oder Aruaques). Der Einfachheithalber nannten die Portugiesen allerdings alle nhengaíbas. Jeder Stamm besaß einen anderen für sie unverständlichen Dialekt und hatte seine eigene Kultur.
Die Aruãs sollen von der Antillen Insel Lucaias von den Caraibas Indianer vor Jahrhunderten verbannt worden sein und sind auf abenteuerlicher Kanufahrt übers offene Meer irgendwann bei Mbarayó gestrandet. Sie fanden hier eine neue Heimat und pflegten ihre hohe Kunst der Keramikherstellung weiter. Die faszinierende geometrische Bemalung auf den Tongefäßen ist bis heute nicht entziffert. Das Geheimnis dieser Zeichen und der Schrift ist mit dem Stamm ausgestorben. Die Schätze der Aruãs liegen in verschiedenen europäischen und amerikanischen Museen sowie im Goeldi in Belém. Unmengen von Schalen, Töpfe, Teller, Krüge, Trinkgefäße und in schier unglaublicher Fülle Igaçabas (Urnen) hat man in den letzten 150 Jahren ausgegraben. Aber es gibt sicher immer noch unentdeckte Grabstellen auf Marajó.
Man glaubt, daß die Ton- und Malerarbeiten von den Frauen ausgeführt wurden. Klare Linien, Kreuze, Fische, Vögel und Augen, Axt, Bogen, Dreiecke sowie Frösche, Schlangen und Spinnen zieren viele Gefäße. Es fehlt jedoch jegliche Interpretation. Die Aruãs haben uns die größte Hinterlassenschaft archäologischer Funde im gesamten Amazonas Gebiet vererbt. Keiner der bis heute über 500 ehemaligen Indianerstämme hat Ähnliches geleistet. Nur die Hochlandindianer und Präinkakulturen können da mithalten.
Die herrlich bemalten Igaçabas (Urnen mit den eingeäscherten Toten) wurden ausnahmslos in Hügeln aus schwarzer Erde vergraben. Deswegen zählt man die Aruãs zu der großen Familie der südamerikanischen Mound-builders (Hügelbauer). Man hat viele solcher “Hügel“ gefunden. Allein am Rio Camutím über 40 Cerâmios (der Antropologe Domingos Soares Ferreira Penna, Gründer des Goeldi Museums, nannte sie so und es wird immer noch benutzt). Der berühmteste und am besten erhaltene Cerâmio liegt am östlichen Ufer des Arari Sees, nahe der Mündung vom Igarapé das Almas (dem Bach der Seelen). Der Ort ist als Ilha de Pacoval (Pacoval Insel) bekannt. Allerdings ist dort keine Insel. Ilha bedeutet für die Einheimischen nichts anderes als eine Ansammlung von Palmen, und die wachsen eben da…
Der Stamm der Aruãs verschwand schon im 18. Jahrhundert völlig (wie alle anderen Stämme). Mit ihm die Sprache und das Geheimnis ihrer hohen Kultur. Von den Kolonisatoren abgeschlachtet, durch einfache, von Weißen mitgebrachten Krankheitserregern darin gerafft, oder im riesigen Amazonasgebiet untergetaucht. Wie die meisten amerikanischen Ureinwohner. Der letzte Aruã, ein alter Mann, fand man 1877 auf Marajó, aber er konnte nur noch wenige Worte seiner ursprünglichen Sprache, und auch diese waren schon in das brasilianische übergeleitet…
Ein weltbekanntes Aruã Wort hat alles überlebt: Mata-mata, der Name einer bizarren prähistorischen Schildkröte, bei uns als Fransenschildkröte (Chelius fimbriatus) genannt. Mata-mata ist von den Tupí Indianer, den Portugiesen und schließlich der ganzen Welt übernommen worden. Leider ist diese inzwischen seltene Art ebenfalls vom Aussterben bedroht. Dann bleibt uns wirklich nur noch der Aruã Name und die Keramik…
Die Entdeckung und Eroberung
Offiziell wird der spanische Seefahrer Vicente Yañez-Pinzón als erster Europäer genannt. Er landete am 21. April 1500 in Porto Seguro, Bahia, und hat irgendwann im Februar, vor seiner Landung im Nord-osten Brasiliens, an der Mündungsinsel den Anker herunter gelassen. In seinem Logbuch ist vermerkt: „La boca de Rio Grande el Mar Dulce que sale quaranta leguas en el mar com la aqua dolce“ (“Der Mund des Rio Grande das Süße Meer welches 40 Leguas ins Meer reicht mit Süßwasser“). Allerdings steht in der Navarrete Schrift “Viagens de Américo Vespúcio“, daß er (Américo) eine große Insel unterhalb des Äquators 1499 betreten und ihn die Aruãs freundlich aufgenommen haben. Trotzdem ging der Entdeckungskredit an Pinzón. Man gab der Insel zuerst den Namen Ilha Grande de Joanes (= Yañez), bevor man sich an den alten Aruã Namen erinnerte.
Als sich das spanische und portugiesische Königreich um 1640 trennten waren die Aruãs immer noch die unbestrittenen Herrscher von Mbarayó und hatten inzwischen ein gutes Verhältnis mit den Holländern, die eine der Insel vorgelagerten Festung, in Belém, errichtet hatten. Die Portugiesen sahen darin eine Provokation (gegen die katholische Kirche und den König) und trugen Schlachten aus gegen die Holländer und später gegen Engländer und Franzosen. Dann am 23. Dezember 1655 erklärten sie sich als offizielle Besitzer der Insel und gründeten die Capitania da Ilha Grande de Joanes. Antonio de Souza Macedo setzte man als Baron über die Insel ein. Aber auch ihm gelang es nicht, Mbarayó zu Kolonisieren. Ein unbekannter Schreiber brachte es zu Papier: “Der Archipelago war von Anfang an und für lange Zeit Schauplatz blutiger Kämpfe. Mehrere Nationen versuchten die Ureinwohner zu unterdrücken. Ganze portugiesische Heere, allein eine Armada mit 130 Kanonen, wurden von Indianer in die Flucht geschlagen“. Erst 1659 gelang es dem Jesuit Antonio Vieira (nachdem man die nördliche Inselbucht später benannte), bei einer pastoralen
Visite, die Aruãs zu pazifizieren.
Die Bekehrung dieses christlichen Apostels ermöglichte den Portugiesen sich endlich auf Mbarayó zu etablieren und somit die Conquista des Amazonas Gebietes einzuläuten.
Die Campos
Etwa 23.000 km2 der Fläche Marajós besteht aus “campos“: Grasland ohne Wald, ideal für Viehzucht. Ein portugiesischer Schreiner, Francisco Rodriguez Pereira, erkannte schon früh diese Möglichkeit und seine Chance. Er gründete die erste Fazenda am Ufer des Ararí Flußes im Jahre 1680. Die Kühe brachte er von Cabo Verde, der portugiesischen Atlantik-insel (siehe ag Nr.5). Um die Jahrhundertwende (1700) begannen auch die katholischen Padres Stallungen anzulegen, gefolgt von den Jesuiten und
Karmelitern. Im Jahre 1746 zählte man schon 480.000 Rinder auf den “campos“ von Marajó. Die Viehzucht war so stark angewachsen, daß man schwarze Sklaven zur Bewirtschaftung aus Afrika (über Cabo Verde) holen mußte,
Waldindianer weigerten sich, auf den Weiden zu arbeiten. Als der König von Portugal, D. José I, am 2. August 1758 die Jesuiten aus Pará (dem brasilianischen Staat in dem Marajó liegt) verdammte und deren 60.000 Rinder sowie das damals beste Weideland auf der Insel konfiszierte, konnte er noch nichts von dem bevorstehenden Verfall ahnen. Die eingesetzten Leute waren nicht Herr der Bewirtschaftung, und auch später ausgewählte Offiziere und angesehene Persönlichkeiten aus Pará haben es nicht fertig gebracht, die Aufsicht und Verwaltung der Güter weiterzuführen. Die Fazendas der Jesuiten verkamen. Allein die Anhänger des Ordens der Mercês, die den weitaus größten Teil der Fazendas besaßen, führten die Viehzucht erfolgreich weiter. 1795 erließ Papst Pio VI eine Proklamation die alle Anhänger des Ordens nach Portugal orderte. So kamen die gesamten Fazendas und die Rinder in den Besitz des Staates.
Dieser verwaltete sie etwa genau 100 Jahre lang. 1895 verkaufte der Staat die Ländereien an Privatleute. Man gründete die Sociedade Pastoril de Marajó und die Rinder, Wasserbüffel (importiert aus Afrika und Indien) und Pferdezucht wird seitdem, praktisch unverändert, weiter geführt. Die Sociedade Pastoril de Marajó besteht heute immer noch.
Die Wälder und Pflanzen
Im Südosten Marajós steht nach wie vor dichter Regenwald, der abrupt an den östlich liegenden campos endet. Es sind noch fast 26.000 km2 bedeckt mit, zum größten Teil, Primär Wald. Diese Region ist durchzogen von furos, iagarapés, canais, und varzea (Überschwemmungsland) so zeigt dieser Insel Abschnitt das typische Amazonasregionsbild. Hevea brasiliensis, wächst hier natürlich – schon 1840 legte man Plantagen an –, aber der Kautschuk wird nicht mehr gezapft (unrentabel). Die Ernten bestehen
maßgeblich aus Palmöl und (leider immer noch) den begehrten Edelhölzern Amazoniens wie: acapu, cedro, jaruba, angelim, bacuri, ipê, andiroba, maçaranduba, pau-marfim, itaúba und cumarú.
Der Pflanzenreichtum ist, wie in vielen Teilen Amazoniens (noch) berauschend. Er liefert den Anwohnern das Öl aus verschiedenen Samen, wilde Früchte wie die leckere açaí, bacaba, burití, patauá und pupunha, und was oft übersehen wird (erst in der letzten Zeit “in“) eine Unmenge an Medizinpflanzen. Auf Marajó wächst ipecacunha, copaiba, salsaparrilha, tingui, assacu, canambi, timbó, mucuracaá, urucu und vieles mehr, Pflanzen die heute die Grundlage für Medikamente in der ganzen Welt bilden.
Nicht zu vergessen sind die inzwischen weltweit geschätzten Palmherzen, eine Delikatesse die aus der Palmito Pflanze gewonnen wird. Leider schlägt man, wie vorher schon in der Region um Belém, diese Palmen rücksichtslos ohne neu zu pflanzen. Ganze Wälder verschwinden, und es bleibt abzuwarten ob dies auch auf Marajó der Fall sein wird. Wir von ag hoffen weiterhin, daß der Mensch sich doch noch besinnt..
Die Fortbewegung in der Insel Region unterscheidet sich drastisch von der auf den campos. Dort geht es nur zu Fuß, per Pferd, oder mit dem Ochsenkarren vorwärts (Straßen gibt es so gut wie keine auf Marajó – nur in den wenigen Ortschaften), hier ist es der Einbaum, das Motorboot oder die Lancha. Übrigens stellt letzteres (=Hausboot ähnlich) heute noch das Haupttransportmittel im gesamten gigantischen Amazonasgebiet dar.
Reptilien, Amphibien, Säugetiere und die Jagd
Über die Tiere auf der riesigen Insel ist wenig publiziert. Im Grunde ist es eine amazonische Fauna. Keine endemischen Arten sind bekannt. Krokodile sind, wie im restlichen Amazonas, kaum noch zu sehen. Sie wurden auch hier rücksichtslos der Felle wegen abgeschlachtet. Beide Arten: Der Brillenkaiman
(Caiman c. crocodilus) und Mohrenkaiman (Melanosuchus niger). Heute sind es die Iguanas (Iguana iguana). Diese Großechsen werden auch nicht mehr lange auf Marajó zu finden sein. Das beweisen allein die Fotos auf den Seiten zuvor. Erbarmungslos wird jedes Tier gefangen und grausam getötet. Man muß “überleben“, so lautet die Devise. Das Fell wird an die Lederindustrie – für Schuh- Gürtel- und andere Lederartikel (auch Bikinis und Röcke sind nach wie vor “in“) verkauft –, ausgestopfte Tiere gehen in die Souvenir Läden. Das Fleisch landet auf dem Markt, bzw. im Kochtopf. Es ist billiger als Rindfleisch. Man braucht nur die Zeit (oder eine Kugel) zu investieren…
Frösche und Schlangen sind da weniger gefährdet. Obwohl die meisten Inselbewohner – wie fast alle Brasilianer – der Meinung sind: Ein gutes Tier ist nur ein totes Tier! (In den Großstädten ist man da inzwischen oft anderer Meinung, aber was ändert das?). Die Riesenschlange Anakonda, die größte der Erde (Eunectes murinus), gleitet öfters mal vor eines Augen durchs Wasser. Sie tut aber keinem Menschen etwas (im Gegenteil zu den unzähligen Horrorgeschichten).
Unter den Säugetieren sind Füchse (Dusicyon thous) häufig. Onças und maracajás (Wildkatzen) sollen angeblich noch durch die Wälder streifen, auch verschiedene macacos (Affenarten) und tamanduás (Nasenbären). Leider trifft man keine Amazonas See- kuh (Trichechus inunguis) mehr an. Seit Jahrzehnten ist sie kaum noch von den Bewohnern gesehen worden. Eine antillische Seekuh (T. manatus manatus) dagegen, soll noch ab und zu in der Mündungsregion und am östlichen Ufer der Insel, auftauchen. Aber die Meinungen gehen da weit auseinander. Laufend taucht allerdings ein Amazonas Delphin auf (Inia geoffrensis). Das capybara (Hydrochaeris hydrochaeris), der Welt größter Nager, wird ebenfalls erbarmungslos gejagt. Es ist eben “billiges Fleisch“. Andere kleinere Nagetiere wie cotias und pacas, sind nicht so “interessant“, landen aber auch im Kochtopf, wenn sie vor die Flinte laufen.
Die Vogelwelt
Ein wirkliches Tier-Paradies dagegen, ein unermeßlicher faunistischer Reichtum, ist in der Vogelwelt Marajós anzutreffen. Wenn der “Winter“ auf der Insel dem Ende zu geht und der Sommer (die Trockenzeit) einläutet, verwandeln sich ganze Wiesen- und Waldregionen in ein Farbenspektakel ohne gleichen. Der Himmel färbt sich entweder Rot (von dem phantastischen Roten Ibis – Eudocimus ruber), Weiß (vom weißen Reiher – Casmerodius albus) oder Rosa (durch den Löffler – Ajaia ajaia). Hunderte von Arten bewegen sich über die Insel um ihre Nistplätze einzunehmen. Tausende von Vögeln in allen Farben und Schattierungen verwandeln die Landschaft in ein Gemälde, wie es kein Maler jemals fertig gebracht hat. Die herrlichen Photos von dem Franzosen Roger Leguen auf diesen Seiten sollen einen kleinen Einblick gewähren in das Vogelparadies Marajós und die Fazenda do Ibis in der östlichen Inselregion. Vergleichbares ist weltweit bisher kaum gesehen worden. Außer in der Natur, auf der größten Flußinsel der Erde.
Die Fische
(Serrasalmus sp.), die überall vorkommen.
Dadurch, daß Marajó wie kaum eine Region von Wasser durchzogen ist, besteht ein enormer Fischreichtum, ganz besonders in den Seen, von denen Lago Arari der bekannteste und größte ist. Er liegt (fast) in der geographischen Mitte der Insel und zieht sich über 120 Km, in einer Nord-Südachse, in die Länge. Viele größere und kleiner Flüssen münden in den See oder fließen ab, einschließlich des Rio Arari. Dieses Wasserlabyrinth speist die campos-Region konstant mit dem wertvollem Naß.
Nach dem Rind ist Fisch die zweitwichtigste Ertragsquelle der caboclos. Sie bringen ihren (Nacht-) Fang jeden Morgen auf dem bekanntesten Fischmarkt Amazoniens, den Ver o peso in Belém. Die Kolonien der pescadores (Fischer) von den Orten Genipapo und Santa Cruz am Lago Arari, sind die Repräsentanten einer uralten Tradition. Sie fangen ihre pescados (Fische) von September bis zum Ende der Trockenzeit (Dezember/ Januar). Dann haben die Fische ihre Laichperiode. Außerdem steigt das Wasser so schnell, überflutet die Wälder und campos’, was weiteren Fischfang unmöglich macht. Marajó verwandelt sich in ein gigantisches aquatisches Areal von Sumpf und Überschwemmungsgebieten (oft ertrinken sogar Kühe und Pfahlbauten versinken in den Fluten). Die Natur regelt das Ganze von selbst, ein Überfischen im gesamten Amazonasgebiet ist ausgeschlossen.
Die Auswahl ist enorm. Zu den Hauptspeisefischen gehören pescada (ein Meeresfisch hier im Süßwasser),
tucunaré (Cichla species), traira (Hoplias malabaricus), acarí (Astronotus ocellatus), aruanã (Osteoglossum bicirrhosum), aracu, apaiarí, mandí (Pimelodus cf. blochi), tainha, tambaqui (Colossoma brachypomum), bodó (Hypostomus species) und Piranha (Serrasalmus species). Die meisten der einheimischen Namen sind indianischen Ursprungs und nicht immer einem genauen wissenschaftlichen Namen zuzuordnen. Die Aruãs fingen nur mit Pfeil und Bogen. Mit erheblichem Aufwand stellten sie für (fast) jede Fischart einen anderen Pfeil her. Für den größten unter den Süßwasserfischen der Erde, den pirarucú (Arapaima gigas), was soviel wie “Rot-Feuer-Schwanz-Fisch“ heißt, schnitzten sie schwere Holzspeere. Der caboclo fängt überwiegend mit der tarrafa (Wurfnetz), dem arpão (eine Art Harpune, die mit der Hand geworfen wird), mit rede (Zugnetzen), und mit speziellen Fischreusen. Die raffinierteste von allen darunter ist die cacuri – Reuse. Diese riesige, in Herzformation aufgestellte Falle mit ausgeklügelten beweglichen Teilen, ist eine geniale Erfindung der Marajó Fischer. Sie funktioniert bei Ebbe wie bei Flut. Die Marajó Fischer sind so stolz auf ihr cacuri, daß sie sogar ein Lied darüber komponiert haben: „Casamento é como cacuri: Quem está fora “que entrá, Quem está dentro “qué sai“…(Eine Hochzeit ist wie ein cacuri: Wer draußen ist “Soll rein kommen“, Wer drinnen ist “Soll mal versuchen raus zu kommen“…).
Es gibt außer den “Essfischen“ natürlich auch eine große Artenvielfalt von kleineren Fischen. Einige werden für den Aquarianer in aller Welt seit Jahrzehnten regelmäßig in der Trockenzeit gefangen. Besonders hervorzuheben ist darunter der elektrische Messeraal, Apternotus albifrons. Ein samtschwarzer Fisch, wie ein Messer geformt (ohne Griff). Nur am kurzen Schwanzstiel hat er ein weißliches Band, welches aber mit dem Alter verschwindet. Ein Minimonster das die Amerikaner “black ghost“ nennen (schwarzes Gespenst), und das auch noch rückwärts schwimmt. Hoch interessant ist dessen Fangmethode. Natürlich, wie es sich mit “Gespenstern“ so auf sich hat, erfolgt die Jagd bei Nacht. Sie werden mit starken Lampen aus den Rillen im Wasser liegender Baumstämme geholt und aus Steinspalten. Die Tiere sind nachtaktiv – bestimmt ist das ein Schutzmechanismus, denn die meisten Raubfische ruhen nachts und Messeraale sind ein gefundenes Fressen. Sie pressen ihre Eier nachts in die Spalten, geschützt vor Tagesräubern. Man sagt, daß die sogenannten Gymnotiden (Gymnotiformes) ein 6. Sinn haben, ihre elektrischen Organe. Sie produzieren konstant Entladungen, womit man Erstaunliches leisten kann. Zum Beispiel wird in Nancy an der Universität seit Jahrzehnten erfolgreich, ununterbrochen eine 2 Meter hohe Uhr am Eingang des Aquariums von dem Nilhecht (Gymnarchus nilotucus) betrieben dessen schwache, aber konstanten elektrischen impulse, die Quarz Vibrationen der elektrischen uhr ersetzt. Und im Keller des Hauses haf Prof. Florian laufen Computer von den elektrischen Entladungen einiger “black ghosts“, aus Marajó, betrieben. (Der Schreiber hat sie selbst gefangen). Es werden hier erfolgreiche Experimente durchgeführt. Unter der Leitung des regen Professors Dr. Condé, hat man es über speziell entworfene Module fertiggebracht, die Energie der elektrischen Fische so zu “kanalisieren“, daß ihr 24-Stunden-Strom voll genutzt wird. Fischenergie eine Utopie? Nein! Das ist Gegenwart. Nur noch viel zu wenig beachtet.
Übrigens: Der Marajó – Messeraal (ähnliche Farbformen kommen auch anderswo vor, eventuell die gleiche Spezies) hat zwar Augen, aber braucht diese gar nicht. Denn er besitzt außer der elektrischen Entladung die in modifizierten Nerven produziert werden, noch spezielle Sinnesorgane in der Haut, mit denen er sowohl eigene als auch fremde elektrische Reize wahrnehmen kann. So findet er sich in völliger Dunkelheit optimal zurecht. Viel mehr über diese hochinteressante “Elektronik in Fischen“ ist in ag Nr. 1 nachzulesen: Elektrische Fische.
Es gibt weiter ausgefallene Spezies auf der Insel, aber der Raum reicht nicht aus auch nur einen Bruchteil zu erfassen. Es mag noch der muçum (Synbranchus marmoratus) erwähnt sein. Ein Kiemenschlitz-aal, der über 1 Meter Länge erreicht und im Sumpf eigenartige Schaumnester bildet. Das Weibchen legt ihre Eier da hinein und bewacht sie. Oder der Lungenfisch, der sich tief ins Erdreich während der Trockenzeit eingräbt, um seine Haut feucht zu halten und um zu überleben (was übrigens auch ein paar Salmler tun). Marajó ist ein einmaliges geographisches Wunder auf dieser Erde. Die wenigsten Menschen kennen es oder haben je davon gehört. Um so mehr ist dieses Konglomerat faszinierender Naturgegebenheiten schützungsbedürftig, allein schon um noch vielen Generationen dieses Paradies zu erhalten.
Text: H. Bleher, ag Team & Roger Leguen
Photos: Roger Leguen, Burkard Kahl Zeichnungen: ag- Archiv
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